Richte Dein Pferd gerade und reite es vorwärts
Autor: Horst Becker, Equiment für das Schweizer Reitmagazin PASSION / Ausgabe 3 2019
Geraderichten wird oft ebenso falsch interpretiert wie Vorwärtsreiten. Letzteres hat nichts mit Geschwindigkeit zu tun, sondern mit korrektem Reiten vom Schenkel zur Hand. Alles wird vorwärts geritten, jede Lektion auch das Rückwärts- oder Seitwärts, aber was bedeutet «vorwärts» eigentlich?
In der klassischen Dressur bezieht sich der Begriff «Vorwärts» auf das feine Treiben vom Bein zur Hand. Doch in der heutigen Zeit, im heutigen Reitunterricht, bezieht sich der Begriff häufig leider eher auf Tempo.
Man sieht immer wieder, dass ein Pferd – vermeintlich spektakulär –«ganze Bahn» nach vorne jagt und nennt es «ausdrucksstarke Bewegungen». In der Realität sind es jedoch lediglich Fliehkräfte, spannige Tritte, meist auf der Vorhand, ohne Hinterhand-Aktivität und mit verspanntem Rücken.
Korrektes Vorwärtsreiten ist Geraderichten
Ein zu schnell gerittenes Pferd verdreht und verkrampft sich, wird auf der schwachen Seite hohl und setzt oft den Reiter schief. Geraderichten entsteht durch mehr gleichmässigen Schub aus dem Hinterund nicht durch Zug aus dem Vorderbein.
Auch an der Longe kann ein Pferd nur gerade werden, wenn der Takt und die ruhige, im Hinterbein entwickelte Bewegung formiert werden.
Leichtigkeit beginnt mit Leichtigkeit
Diese einfache Formel dient als Überbegriff für feine Verbindung, leichte Einwirkung, gutes Timing mit viel Geduld, aber auch mit feiner leiser Konsequenz. Je sanftmütiger, desto näher wird der Reiter am Pferd sein. Sprechen Sie leise! Das Pferd muss seine Bewegung mit dem Reiter erst entwickeln, wie ein Tänzer.
Man kann ein Pferd nicht geraderichten, indem man geradeaus reitet. Darum ist der erste Hufschlag nicht dein Freund, aber der Mittelzirkel wohl. Reitet man geradeaus, können Vor- und Hinterhand auf unterschiedlichen ParallelLinien seitlich verschoben sein. Steigert man jetzt das Tempo, reitet vermehrt vorwärts, verstärkt man diese Schiefe. Ein häufiges Problem bei Dressurpferden, die dann Taktfehler in der Verstärkung zeigen.
Ein Reiter kann auf einer geraden Linie nicht geraderichten, das geht nur, wenn das Pferd in sich gerade ist. Reitet man auf einer gebogenen Linie, kann der Reiter mit innerem Schenkel zum äusseren Zügel das Pferd gerade führen. Durch die gebogene Bewegungslinie ist die innere Seite des Ausweichens geschlossen und die Energie lässt sich sehr gut kanalisieren. Der Zirkel ist die wichtige Plattform zum Geraderichten und zum gleichmässigen Biegen auf beide Seiten. Zuerst muss das Pferd gut aufgewärmt und dehnfähig gemacht werden, beginnend auf der hohlen, also der kürzeren Seite.
Das ist der erste Schritt zum Geraderichten. Schon die alte Lehre besagt:
«Geraderichten auf gebogener Linie und Biegen auf gerader Linie.»
Geraderichten an der Longe
Ein wichtiges Thema ist die Rumpfkraft, ohne die ein Geraderichten nicht möglich ist. In einem ordentlichen Longen-Programm wird in einem nicht zu schnellen Tempo ruhige Übergänge zwischen Galopp und Trab gearbeitet.
Arbeiten nicht schleudern!
Im Takt und Schwung durch häufiges Angaloppieren aus dem Trab und wieder in einen ruhigen Trab zurück.
Geraderichten unterm Sattel
Das wohl Wichtigste ist, auf der richtigen Hand lösen. Aber welche ist die richtige Hand?
Es immer die Seite, auf der sich das Pferd besser biegt. Hier ist die Muskulatur verkrampft und daher verkürzt. Also die Hand auf der Seite, auf der sich das Pferd im Schritt und Trab gefühlt besser reiten lässt, einen besseren Takt und eine bessere Anlehnung hat. Hier muss das Pferd ohne Handwechsel ausgiebig gelöst werden.
Geht man zu früh auf die andere, «nichthohle» Seite über, wird die verkürzte Muskulatur nicht sanft gedehnt, sondern gezerrt, da diese noch nicht genug aufgewärmt und durchgearbeitet wurde. Wir reden immer über das Geraderichten eines Pferdes. Aber kann das Pferd gerade sein, wenn der Reiter seine Balance nicht findet?
«Sitzen oder Stehen?» Lautet die entscheidende Frage
Gemeinhin spricht man immer vom Reitersitz. Aber sowohl biomechanisch als auch handwerklich hat das Reiten eines Pferdes nichts mit Sitzen zu tun.
Sitzen bedeutet im Grundsatz, dass die grösste Masse des Körpergewichts über die Sitzbeinhöcker auf einen Untergrund, respektive in der Reiterei in den Sattel übertragen wird. Reiten ist aber in erster Linie eine «stehende» Tätigkeit. Es ähnelt eher dem Skifahren als dem Sitzen auf einem Gegenstand.
Das Fundament des Reitersitzes ist das Zusammenspiel eines federnden Fussknöchels mit dem Knie, dem Oberschenkel und der Hüfte.
Geraderichten in den Seitengängen
Die gezeigten Übungsfolgen sind zu Beginn im Schritt relativ einfach, mit steigendem Ausbildungsstand im Trab und Galopp eine der Schwierigsten. Aber ungeschlagen im Erfolg und Ergebnis.
Man geht vom Schulterherein zum Renvers, vom Renvers zum Konterschulterherein, vom Konterschulterherein zum Travers. Dann steigert man das Travers auf der halben Volte zur Passat, einer grossen halben Pirouette. Aus der Passat fängt man das Pferd ab ins Renvers, durch das Steigern im Renvers und Geraderichten wechselt man die Hand und beginnt von neuem.